Dabei meint irrelevant unabhängig von aller handwerklichen Fähigkeit jene Art Filme zu machen, die mit dem geographisch unverortbaren Schlagwort "neue Berliner Schule" verbunden ist; steht diese Kategorie doch dafür, meist unter der Fittiche des Kleinen Fernsehspiels des ZDFs von jedweder Kritik gereinigte Nabelschauthemen der Mittelschicht zu thematisieren. Prototypisch dafür etwa Henner Wincklers Filme "Klassenfahrt" und "Lucy". Dass der selbe Autor auch anders kann sieht man etwa wenn man feststellt, dass Henner Winckler auch an Yüksel Yavuz "Kleine Freiheit" mitgeschrieben hat.
Doch zurück zu Vier Minuten: wie weithin besprochen behandelt der Film die Beziehung zwischen der Pianistin und Gefängnisklavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) und der Inhaftierten Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung).
Jenny von Loeben ist eines jener Wunderkinder, von denen Andre-Rieu-begeisterte-Klassikfreunde träumen. Unterdessen sitzt sie im Gefängnis, weil ihr Vater (Vadim Glowna) sie zu missbrauchen begann, als sie kein Wunderkind mehr sein wollte.
Traude Krüger wurde von den Nazis, für die sie arbeitete, dazu gebracht, ihre Geliebte zu verraten. Dies ist einer der Gründe für sie gewesen den Ort dieses Geschehens nie zu verlassen. Und so bringt sie nun Gefängnisinsassen bzw -personal das Klavierspielen bei.
Die rassistischen ("Negermusik") und verquast bildungsbürgerlich-muffigen (wie das Zitatespiel mit dem Wärter Mütze) Extravaganzen und Ausraster der Frau Krüger wirken immer ein wenig wie die Illustration jenes Satzes von Walter Benjamin aus seinen beiden grossen geschichtstheoretischen Arbeiten, es sei niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.
Am Ende schmuggelt Frau Krüger Jenny aus dem Knast, um ihr die Teilnahme an einem Klavierwettbewerb zu ermöglichen. Zur Anmeldung muss Jennys Vater ihre Identität bestätigen. Wie in dieser Szene das ineinanderverwobene Personengeflecht gegen alle Sympathien miteinander interagieren muss, dies allein ist eine Meisterleistung des Drehbuchs.
Und so sind von allen Minuten des Film nur jene vier des Wettbewerbsvorspiels affektiert. Jene bildungsbürgerliche Grinseveranstaltung zur Bühne für das Dekonstruieren des Klavierklassikers Schumanns zu machen, wirkt ein wenig zu viel, aber dies ist man gerne bereit zu verzeihen nachdem man 106 Minuten begeistert verfolgt hat wie es Chris Kraus gelingt, seine Geschichte zu erzählen.
Um auf die Kritik der "neuen Berliner Schule" vom Anfang zurückzukommen: seit einiger Zeit kristalliert sich etwas heraus, was dieser entgegenläuft. Und so möchte ich in dieser Besprechung die These aufstellen, dass eine Reihe von Filmen zu denen Vier Minuten unbedingt gehört der Tabatabai-Schule angehören.
Um dazu zu gehören ist es, bei aller Bewunderung für Jasmin Tabatabai nicht nötig, dass diese mitspielt, gemeint ist viel eher eine Reihe von Filmen (Kleine Freiheit, Fremde Haut und mit Einschränkungen Requiem), die die Gesellschaft vom Rande her erzählen. Und eben dies ist im Spielfilmbereich durchaus als politisches Statement zu werten.
Dass andererseits gerade Jasmin Tabatabai für diese Art Filme steht, zeigt wie sehr bestimmte Bilder von "den anderen" (warum sonst heisst Tabatabais Rolle in Vier Minuten "Ayse"?) noch immer im Spielfilm vorherrschen. Und so dürfte es kein Zufall sein, dass alle diese Filme progressiv eher im Hinblick auf ihren Umgang mit sexueller Identität sind, als (mit Ausnahme von Kleine Freiheit) in Hinblick auf ihre Darstellung von MigrantInnen.
Homepage von Vier Minuten
orcival
4. Februar 2007
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