Während sich das israelische Kino lange Zeit vor allem am Vorbild amerikanischer Actionfilme orientierte und extrem peppiges B-Kino hervorbrachte, das sich zwar teilweise sehen lassen kann, aber so recht halt doch nicht überzeugt, fasste in den späten 80er Jahren eine Art Autorenkino Fuss. Es hat sich eingebürgert, diesen Bruch mit Assi Dayans "Ha-Chayim Al-Pi Agfa" ("Life according to AGFA") zu verbinden. Eine vor kurzem beim israelischen Indielabel "The Third Ear" erschienene Box mit den Filmen des israelischen Derek Jarmans, Amos Gutman, rückt das etwas gerade. Gutmans Filmproduktion, die nur vier Lang- und drei Kurzfilme umfasst, wurde früh durch seinen AIDS-Tod mit 38 Jahren beendet. Die Box umfasst zudem eine Dokumentation von Ran Kotzer über Amos Gutman. Leider sind die Doku und die Kurzfilme nicht wie die anderen Filme mit Untertiteln versehen.
In seiner Würdigung des editorischen Unterfangens der Gutman-Box schreibt Uri Klein, Gutman habe vor drei Jahrzehnten "die Stimme des Anderen in das israelische Kino gebracht".
Und wenn man sich die Qualitäten des heutigen israelischen Kinos jenseits von Eytan Fox ansieht, ist vieles wiederzuentdecken. Bestechen israelische Filme doch - wenn man denn eine rote Linie suchen möchte - oft nicht durch ausgefeilte Plots, sondern eher durch die Zeichnung der Personen und ihrer Positionierung im Melting Pot der israelischen Gesellschaft.
Der Reiz von Gutmans "Amazing Grace" besteht neben der Handlung, die beinahe Soap-Elemente hat, in der Darstellung der Familien und Mitbewohner und Nachbarn der Protagonisten. Die Handlung des Films besteht darin, dass sich der eher schüchterne Jonathan von seinem Freund Micki trennt, weil der sich in seinen Augen nur noch herumtreibt. Als gleichzeitig Thomas, der Sohn der Familie, die über ihm wohnt, aus Amerika nach Tel Aviv kommt, verliebt er sich in ihm. Was er nicht weiss, ist, dass Thomas an HIV erkrankt ist.
In Ästhetischer Hinsicht ist Gutmans Produktion, vermutlich nicht unbeeinflusst von finanziellen Zwängen, ein wunderschönes low-budget-Kammerspiel. Die wenigen Aussenaufnahmen des Films scheinen stets wie vom Balkon oder aus dem Fenster gefilmt und geben ein ganz anderes Tel Aviv Bild, als das strahlend beeindruckende Bild, das man etwa durch Eytan Fox "The Bubble" bekommt.
Das Gros der Energie beim Dreh des Films scheint aber in die Charaktere geflossen zu sein: Thomas' Familie, die nur aus seiner verwitweten Mutter und seiner stets nörgelnden Grossmutter besteht und Jonathans Familie, die aus seiner immer überarbeiteten und gestressten Mutter und seinen beiden Geschwistern besteht, vermitteln ein interessantes Familienbild, das dem Klischee so gar nicht entspricht. Und während alle "Erwachsenen" des Films ständig überreizt sind und versuchen, ihre Wehwehchen mit Tabletten im Griff zu behalten, träumen alle unter dreissig von einem Studium in New York. Was aus "Amazing Grace" mehr macht als einen x-beliebigen schwulen Autorenfilm ist, dass es dem Film gelingt, das Scheitern oder verauszuahnende mutmassliche Scheitern von Träumen einzufangen. Und schliesslich die direkte Ablehnung eines offen politischen Films: als der Barkeeper, der sich damit brüstet, schon einige Songs für den Eurovisions-Contest komponiert zu haben, Thomas nach einem Wort fragt, das auf hebräisch und arabisch gut klingt und dass er ja früher immer gegen die Mischung von Kunst und Politik gewesen sei, verdreht dieser nur genervt die Augen und geht.
Von Amos Gutman könnte Eytan Fox also lernen, dass ein politischer Film, das nicht alle drei Sekunden aus all seinen Bildern herausschreien muss. Eine Lektion, die die besseren unter den israelischen Regisseuren wie Joseph Cedar, schon nach dem ersten Film begriffen hatten. Und nicht nur Cedars Filme erweisen sich in gewisser Hinsicht als Folge von Gutman.
Wenn es israelischen Filmen, wenn auch mit einigem Aufwand - wie nicht zuletzt an den bis zu zehn Logos von Geldgebern vor dem Film zu sehen - nun endlich allmählich gelingt, finanziell so ausgestattet zu werden, wie sie es verdienen und schon lange die Filme gedreht werden, die man sich schon immer gewünscht hat, dann fehlt nur noch eines: ein Verleih, der diese Filme auch in Deutschland ins Kino bringt. Bislang hat es nicht einmal Cedars neuster Film "Beaufort", der immerhin den Regie-Bären der diesjährigen Berlinale bekommen hat, geschafft.
Edit:
Weil die Website nur auf Hebräisch verfügbar ist: man kann die Box auch per mail an bestellen.
orcival
15. Oktober 2007
(3 Shpiels)
gefangen in Bildern der Kamera
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