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[Leipzig] VIIIa: Retro Andrei Chrschanowski - Programm 1
Die diesjährige Animationssektion in Leipzig umfasst neben vielem anderen auch eine leider nicht vollständige, aber doch recht ansehnliche Retrospektive der Filme Andrei Chrschanowskis. (Für eine vollständige Auflistung aller Filme Chrschanowskis siehe die Biographie-Seite des diesjährigen Film Festival Rotterdam oder hier auf Animator.ru).

Die zwei Programme gliedern sich entlang der Wende von 1989/1992. Das erste umfaßt also die Filme bis dahin und das zweite die nach 1990 entstandenen.



Das Programms wird eröffnet durch Chrschanowskis erste Regiearbeit Жил-был Козявин / Schil-byl Kosjawin / There Lived Kozyavin. Eine von Gennadi Sokolski (der später für seine Cartoon-Serie Nu Pogodi berühmt werden sollte), Waleri Uganow, Stanislaw Sokolow, Waldimir Morosow, Anatoli Petrow (Gründer des Animationsprogramms Vesyolaya Karusel / The Happy Merry-Go-Round), Juri Kusjurin, Wladimir Arbekow und Dmitri Anpilow animierte Bürokratie-Satire. Die eigentlich eher profane Aufgabe, einem gewissen Sidorow auszurichten, dass der Kassierer angekommen sei, führt Kozyavin einmal um die ganze Welt. There Lived Kozyavin ist eine ausgesprochen gelungene Bürokratie-Satire. Besonders bemerkenswert ist hier bereits Chrschanowskis Raumauffassung/-darstellung. Die Räume die Kozyavin durchläuft sehen aus wie ein wildes Cross-over von De Chirico und Mirò. Ebenso bemerkenswert ist die Musik, die, obwohl Chrschanowski für diesen Film noch nicht mit Alfred Schnittke arbeitete, sondern dem Filmkomponisten German Lukjanow.



Der wahrscheinlich bekannteste Film Chrschanoskis aus dieser Zeit ist Стеклянная гармоника / Stekljannaja garmonika / Glass Harmonica. Der Film, der in an der Kunst der (italienischen) Renaissance und des Barock orientierten Bildern, eine Parabel über die Macht erzählt, ist der einzige Film des Regisseurs der von der Zensur verboten wurde. Der Film ist eine Adaption einer Geschichte von Lasar Lagin. Immerwieder taucht trotz der Versuche der Macht, die von Magritte artigen Männern mit Melonen dargestellt wird, eine Harmonika aus Glas auf, die die Menschen dazu bringt, sich der Zurichtung durch die Macht zu entziehen.

Eine interessante Frage ergibt sich an der Rekonstruktion der Uhr als Zeichen der Wiederherstellung der als machtfrei imaginierten Ordnung: vor dem Hintergrund der Bedeutung des Taylorismus und der in diesem angelegten Bedeutung der Uhr bzw. der in der Stechuhr verkörperten Zeit auch oder gerade im spätimperialen Russland ist das ein seltsames Bild. Wird an dieser Stelle wirklich die Wiederherstellung von Freiheit gefeiert oder nur der Austausch einer Macht durch eine andere?

Nicht zuletzt ist der Film bemerkenswert für die Zusammenarbeit mit Alfred Schnittke und das nahezu gleichberechtigte Nebeneinander von Bild und Tonebene. In seinen Ausführungen betonte Chrschanowski, dass der Film nicht nur für ihn unglaublich wichtig war, weil er trotz des Verbots für ihn einen Durchbruch bedeutete - und schließlich konnte er ja auch weiterhin für Sojusmultfilm) arbeiten und weitere Filme realisieren.





Während Stekljannaja garmonika und dem vierten Film des Programms Babotschka / Butterfly in Bezug auf die Bildsprache etwas Opulentes zu eigen ist, ist Schkaf / Armoire wohl so nah wie man mit Chrschanowski an eine Miniatur kommt - ein Mann räumt nach und nach seine gesamte Habe in ein Ungetüm von einem Schrank, der in seiner Wohnung auftaucht. Es liegt nahe, den Film für mehr als nur die Geschichte eines Mannes im Schrank zu halten. Ob er sich allerdings eher als Parabel der inneren Emigration oder als Auswirkungen der Angst auf einen Mann lesen läßt, läßt sich nicht ohne weiteres entscheiden...

Rückblickend ist Schkaf daher zwischen Stekljannaja garmonika und Бабочка / Babotschka / Butterfly perfekt gesetzt: während sich Stekljannaja garmonika und auch sein Vorgänger kaum anders denn als Parabel lesen lassen, ist dies im Falle von Babotschka / Butterfly nicht mehr so leicht möglich. Der Film über einen Jungen, der alles Fliegende sammelt und daher anfängt, Schmetterlinge zu jagen und in Einweckgläser zu sperren, schließlich aber selbst von einem Riesenschmetterling entführt wird, enthält durchaus symbolhafte Bilder - diese lassen sich jedoch nicht ohne weiteres deuten, ohne in die Trivialität abzugleiten. In dieser Perspektive stellt Schkaf die Wende weg von der Eindeutigkeit dar.

Das bestätigt sich in den letzten beiden Filmen dieses ersten Programms Дом, который построил Джек / Dom, kotoryi postroil Dschek / The House That Jack Build und Королевский бутерброд / Korolewski buterbrod / The King's Sandwich. Beide sind entstanden nach Gedichten für Kinder. Was sich in Dom, kotoryi postroil Dschek jedoch in einer eher harmlosen grafischen Spielerei verläuft, während sich in Korolewski buterbrod die ganze anarchische Kraft des Gedichtes von A. A. Milne entfalten kann, an dem König, der durch die einfache Bitte um Butter für das Brot das ganze Königreich in Aufruhr versetzt. An der Eingangssequenz hätte Sylvain Chomet seine Freude gehabt.

An allen Filmen aus diesem Programm und vielen des zweiten war Anatoli Abarenow als Animator ebenso beteiligt wie Rosa Chusnutdinowa als Skript-Schreiberin.

Einen guten einführenden Überblick über die Geschichte des russischen/sowjetischen Animationsfilms bietet die englische Wikipedia-Seite

Zu Chrschanowski siehe die folgenden Artikel in Kino Zapiski, bei Animator und Kultura-Portal.

orcival 31. Oktober 2009 (0 Shpiel) gefangen in Bildern der Kamera
  ... your shpiel! ... link