orcival
6. Januar 2008
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(Und Ehre wem Ehre gebührt: der Link zum Interview mit Friedrich Kittler ist - wie könnte es anders sein - auch vom Thomas sein Blog.)
orcival
6. Januar 2008
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Josef von Bakys "Die Frühreifen" (produziert von Horst Wendtland und Atze Brauner) handelt von einer Clique verwöhnter Blagen von Vätern, die sich im Wirtschaftswunder ne goldene Nase verdient haben. Der Grundtenor ist diese Blagen mit den Kohlekumpeln des nahe gelegenen Reviers zu kontrastieren.
Dieses Thema dominiert schon die erste Aufnahme des Bildes, die den Förderkran (fachliche Irrtümer in Sachen Kohlenförderung bitte ich mir nachzusehen) wie ein dreieckiges Tor zeigt. Ein wenig erinnert das ungut an ein anderes Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei". Das ist leider kein blosser Zynismus meinerseits, sondern ideologisch durchaus mit Folgen - doch davon später.
Inhalt
Um vielleicht noch einmal näher auf die Handlung zurückzukommen, bevor ich die analytischen Eisen wetze: Inge, die bei ihren Eltern lebt und im örtlichen Kaufhaus arbeitet, liebt Wolfgang. Wolfgang arbeitet wie Inges Vater im Kohleschacht und wohnt im firmeneigenen Wohnheim. Inges Vater findet es viel zu früh für seine Tochter für einen Freund und ist zu Hause vor allem mit Alkaseltzer nehmen und rumbrüllen beschäftigt. Als Inge nach einer Modenschau des Kaufhauses von einer Party morgens als annähernd einzige einigermassen nüchtern nach Hause kommt und ihr Vater sie, flieht sie aus der häuslichen Enge der Arbeiterwohnung. Die Party hatte eine Gruppe von Neureichen um den Industriellensohn Günther (wie immer schauspielerisch durch Nichtstun beeindruckend: Peter Kraus) angezettelt, um die jungen Frauen abzufüllen und anschliessend Nacktaufnahmen von ihnen zu machen.
Inge sucht nach einer Unterkunft und nachdem keiner einschliesslich Wolfgang ihr weiterhilft landet sich schliesslich bei dem zwar erträglichen, aber zynischen Freddy. Während Inge schwankt, wie es weitergehen soll, macht sich Günther über die Verliebtheit des 15jährigen Nesthäkchen Hannelore lustig und treibt sie schliesslich in den Selbstmord.
Nach dem Tod Hannelores kehrt Inge zu Wolfgang zurück und schliesslich auch in das Haus ihrer Eltern.
Die Verführung der Weite
Die zwei aus heutiger Sicht stärksten Punkte des Films sind sicherlich die Kontrastierung der immer wieder fühlbaren räumlichen Enge der Arbeiterwohnungen mit den weiten, elegant geschnittenen Wohnungen der reichen Jugendlichen.
Und da mit der Enge eine Überwachung vor allem der Frauen durch männliche Sittlichkeitswächter ebenso einhergeht wie ein Abhängigkeitsverhältnis (in Inges Fall von ihren Eltern, im Falle von Wolfgang von seinem Arbeitgeber), ist der Ausbruch aus der Enge immer ein Ausbruch im doppelten Sinne.
In einer der bildlichsten Darstellungen der Sehnsucht nach Weite, stehen Inge, Hannelore und Helga (?) vor einer Plakatwand die über und über mit Werbeplakaten für Reisen beklebt ist. Zu diesem Duft von Freiheit gehört wohl auch, dass Inge Wolfgang anfangs drängt sich doch auch ein Moped anzuschaffen - damit die Fahrt zum nächsten Flussufer nicht immer im Bus stattfinden muss.
Und wie das Moped so sind auch die Autos der "Halbstarken" der blechgewordenen Traum von Mobilität: das Italien der Reiseplakate wird im Auto plötzlich ebenso greifbar, wie in der Zigarette, die Freddy Inge auf der Fahrt anbietet.
Maloche oder Dekadenz
Erst nach hartnäckigem Zureden ist Wolfgang bereit, einen Teil seines Lohns in ein Moped zu stecken und als Inge ihn um Geld bittet, verweigert er es ihr mit dem Hinweis er müsse erst seiner Mutter den ihr zustehenden Anteil überweisen. Wolfgang ist der ehrliche, gute Junge, gegen den man nur dann etwas haben kann, wenn man wie Inges Vater nicht mit der Zeit geht. Dass selbst der Vikar des Ortes Wolfgang schliesslich gegen Inges Vater unterstützt, gibt dem Film die These, dass eine Modernisierung in Maßen hinnehmbar ist, wenn der Glaube an eine Selbstdefinition durch Arbeit und die Hörigkeit gegenüber Autoritäten erhalten bleibt.
Zugleich dürfte es kein Zufall sein, dass die neureichen Jugendlichen ausschliesslich Jungen sind, und die für die Verführung des Luxus anfälligen junge Mädchen. Der Film stellt nimmt die Diskreditierung der Jugendlichen, die er als "Halbstarke" zeichnet, über die moralische Wertung des "das ist doch kein Mann für dich!" vor.
Zugleich jedoch ist es die Aufgabe der ohne Murren malochenden Männer, die "Frauen" vor dieser Verführung zu schützen: es gilt den Volkskörper reinzuhalten vor der Verführung durch den Luxus, das Geld. Harte Arbeit versus eitle Dekadenz: diese Gegenüberstellung ist ideologischer Kern einer völkischen Kapitalismuskritik.
Vergleicht man den Film in seiner Darstellung der Kohlekumpel übrigens mit sozialromantischen Darstellungen wie etwa in dem Fernsehmehrteiler "Rote Erde" so fällt auf, wie sehr es dem Film bei allem Einbläuen des Arbeitsethos nicht um die Arbeiter als Kohlekumpel - mithin als Kollektiv - geht, sondern es dem Film nur um die Arbeit im Schacht als Arbeit zu tun ist.
Die neue Körperlichkeit
Ein interessantes Detail in der Darstellung der neureichen Jugend ist die stärker körperbetont geschnittene Mode. Die schmal geschnittenen Einreiher der Neureichen, werden gegen die eher praktischen als schicken derben Cordhosen Wolfgangs gesetzt.
Zu diesem Bild passt Günthers alias Peter Kraus' Rock'n'Roll-Auftritt bei der Party: in Kraus-typischer Art hampelt er mit seiner Gitarre herum. Und bei aller Lächerlichkeit, die das in heutigen Augen besitzen mag, dürfte es doch einen klaren Bruch mit den Auftritten der bis dato üblichen Tanzkapellen (man hört dem Wort den Staub an) markieren.
(Für diese Gegenüberstellung des neuen sportlichen, körperbetonten Typs mit der alten Behäbigkeit scheint Peter Kraus in Deutschland idealtypisch: wenn man etwa an die Heinz-Erhardt-Filme des Nachmittagsprogrammes zurückdenkt, in denen Peter Kraus den meist Cabrio fahrenden Mädchenschwarm spielt, wird auch deutlich, dass dieser Typus keineswegs immer so wie in "Die Frühreifen" dargestellt wird.)
Halbstark oder Schnösel?
Was an Josef von Bakys Film verwirrt, ist aber auch die Wahl der Gruppe, die er als "Halbstarke" diffamiert. Mit den üblichen Bildern im Kopf, die das Wort "Halbstarker" aufrufen, erstaunt es doch schon ziemlich wie er neureiche Schnösel mit den Posen von Marlon Brando oder James Dean in Einklang zu bringen versucht.
Nicht umsonst ist Peter Kraus - zumindest seiner Meinung nach - der deutsche Elvis und nicht der deutsche Marlon Brando.
Josef von Bakys Wahl macht es ihm andererseits leichter, die Fragen, die die Halbstarken ebenso aufwarfen wie andere Jugendbewegungen nach ihnen überflüssig erscheinen zu lassen. Josef von Bakys Film ist wegen der zahlreichen Themen, die er anspricht und der Mischung als trashigem Unterhaltungswert und recht-reaktionärem Gedankengut aus heutiger Sicht sehr sehenswert und sollte künftig wohl in jede Reihe aufgenommen werden, die den Versuch unternehmen will, zu zeigen wogegen sich "68" wandte mit seinen feministischen Kämpfen, den Schüler- und Lehrlingskämpfen, den Kämpfen um Wohnheime.
orcival
6. Januar 2008
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orcival
6. Januar 2008
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Morgen (05.12.) läuft auf Arte Robert Stones "Neverland: The Rise and Fall of the Symbionese Liberation Army" unter den sinnigen Titel "Zorro und Patty Hearst". Der Film rockt!
Nicht nur gelingt es Robert Stone einem Ignoranten in Sachen Geschichte der sozialen Bewegungen in den USA wie mir, diese zum Entstehungszeitpunkt hierzulande eher unbekannte Gruppe nahezubringen, er hat auch noch ganz tolles Archivmaterial gerettet. Die Stürmung bzw. das Abfackeln des Hauses, in dem sich Teile der SLA verschanzt hatten, war nämlich offenbar die erste landesweite Liveberichterstattung. Und die Aufnahmen wären mit der Schliessung eines - wenn ich das recht erinnere - Senderarchivs wohl hopps gegangen, wenn Stone nicht gerade einen Film gedreht hätte, in dem er diese Aufnahmen benutzen konnte.
Unterdessen ist die Entführung von Patty Hearst, der Tochter von William Randolph Hearst, der eine Art Prä-Berlusconi war, durch Stereo Total (via) ja auch hierzulande popkulturell weiter verwurstet worden, aber in den USA muss das ja geradezu eine Anti-Ikone sein. Wer wissen will, warum guckt den Film...
Und noch ein Nachsatz in eigener Sache: wird demnächst auch wieder mehr los sein hier, aber ich komm grad nicht recht dazu...
orcival
5. Dezember 2007
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orcival
12. November 2007
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filme und wirklichkeiten
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In freier Adaption einer literarischen Vorlage von Jean Giraudoux erzählt Vicas die Geschichte eines französischen Malers, der kurz nach seiner Hochzeit am Ende des Zweiten Weltkrieges noch als Soldat an die Front geht und schwer verwundet wird.
In den Wirren der letzten Kriegstage wird er fälschlicherweise für einen Deutschen gehalten und verbringt die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges in einem deutschen Lazarett. Passenderweise verliebt er sich in die Krankenschwester, die im Zivilleben eine Adlige aus Südwestdeutschland ist.
Nachdem er einigermassen wieder hergestellt ist, beginnt er erneut zu malen und gründet einen Malerzirkel, in dem er, der Deutsche durch Verwirrung, eine Rückbesinnung auf die echt teutsche Malerei fordert.
Vor dem Hintergrund dieser Handlung entfaltet der Vicas, der selbst von den Nazis verfolgt wurde, einen Film über das Vergessen und nationale Identität. Dass die "Rückbesinnung" nicht unproblematisch ist, wird etwa immer wieder klar, wenn ein eifriger Adept des Malers sich immer wieder in rassistischem Rasen gegen jeden ergeht, der es wagt, seinen Horizont zu überschreiten. Bei der Versammlung der Geldgeber, die das Finale des Films, in dem Jacques zu seiner französichen Frau zurückkehrt rahmt, läuft einem als heutiger Zuschauer angesichts der gerademal oberflächlich gewendeten Nazibürgertums der Schauer über den Rücken.
Spätestens dieses Finale jedoch macht "Das zweite Leben" zu einem Film, dem man eine breitere Wiederentdeckung wünschen würde: die Weise wie Vicas in weiten Kamerafahrten die Reihen der Anwesenden erfasst,um dann vor dem Hintergrund dieser Menge die stumme Konversation zwischen Jacques' französischer Frau und seiner deutschen Geliebten zu inszenieren, das zeugt von einem inszenatorischen Können, das Lust macht auf mehr von Victor Vicas.
orcival
12. November 2007
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Die zweite Ãœberraschung besteht danach wohl darin wie wenig propagandistisch "Das unsterbliche Herz" dem zu Recht berüchtigten Harlan geraten ist. Harlans Umsetzung des historisch fiktiven Aufeinandertreffens des Schlossergenies Henlein und des Geographen Martin Behaim im Nürnberg des 15. Jahrhunderts. Martin Behaim ist im Begriff die Vermessung der Welt auf einem Globus zu festzuhalten, als ein Schiff unter seiner Leitung Schiffbruch erleidet. Als er vom Schiffseigner daraufhin verklagt wird, verweist er auf die Unmöglichkeit das Schiff ohne genauen Anhaltspunkte zu navigieren. Dazu aber hätte er aber einer Uhr bedurft. Da die mechanischen Uhren der Zeit jedoch ausnahmslos Pendeluhren waren, blieb ihm nur seine Sonnenuhr. Nach einer Intervention Henleins zu Martin Behaims Gunsten wird dieser schliesslich freigesprochen, eine neuerliche Expedition jedoch an die Erfindung einer Uhr geknüpft, die seetauglich ist.
Sogleich macht sich der geradeerst bei einem Unfall angeschossene Henlein daran, diese Uhr zu konstruieren. Als er erfährt, dass ein Fragment der Kugel mit der er angeschossen wurde, im Körper verbleiben ist und sein Herz bedroht, gerät die Erfindung zu einem Wettlauf mit der Zeit.
Veit Harlans Film läߟt sein Herstellungsdatum am ehesten in der Wahl der Metaphern erkennen, mit denen seine Protagonisten ihr Handeln motivieren. Der von Henlein wiederholt beschworene Vergleich seines Handels mit dem eines Soldaten, der sich für "höhere Werte" opfert und die überlegene Haltung die der kühle rationale Techniker Henlein gegenüber der sonstigen in religiösen Aberglauben befangenen Welt einnimmt, alldies läߟt die nationalistisch-modernistische Seite des NS im Film erkennbar werden. Visuell bringt eine Einstellung gegen Ende des Films diese Tendenz auf den Punkt,wenn Henlein kurz vor seinem Tod mit seiner Mutter spricht und die Kameraeinstellungen die körperlichen Gröߟenverhältnisse zusätzlich überhöht und Henlein in starker Untersicht filmt, während man mit Henlein auf seine gläubige Mutter herabblickt.
Harlans Film ist ein recht gutes Beispiel für die These, dass das Unterhaltungskino im Nationalsozialismus mit nichten Propagandakino war, sondern viel eine nur graduelle Steigerung der ideologenen Subtexte gegenüber dem Unterhaltungskino in anderen Kontexten darstellte. Der Blick auf B-Kino dieser Art hat seinen Sinn ja oft nicht zuletzt darin, dass die eher eindimensionale Handlung und die zwar handwerklich nicht zu beanstandende Inszenierung, die aber auch kein allzu grosses ästhetisches Surplus bietet, den Blick auf diesen Subtext weniger verstellt.
Unter dem Blickpunkt der Frauenrollen etwa, die weitgehend von einem tändelnden religiös oder liebend gewendeten Schwärmerinnentum sind, scheint mir der Unterschied selbst zu einem Meisterwerk wie Jean Renoirs in gänzlich anderen Umständen aber etwa zeitgleich entstandener "La règle de jeu" durchaus Vergleichspunkte zu bieten.
orcival
12. November 2007
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