Mit MEDUZOT [JELLYFISH] dürfte Bestsellerautor Etgar Keret den mit Abstand besten Episodenfilm des Jahres 2007 vorgelegt haben, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass er jede artifizielle Rahmenhandlung unterläßt und es ihm trotzdem gelingt mit der Zeit ein fein verwobenes Netz von Geschichten auszubreiten. Eine junge Kellnerin, der ein Kind aus dem Meer zuläuft, eine philippinische Mutter, die sich mit Altenpflege das Geld verdient, das sie ihrer Familie nach Hause schickt, eine Schauspielerin mit einer verkorksten Beziehung zu ihrer Mutter, ein Paar auf Hochzeitsreise und eine Hochzeitsphotographin, die ihre Motive an den unspektakulären Rändern der rauschender Hochzeiten sucht - wie in seinen Büchern versammelt Keret in seinem Debut als Koregisseur (neben Shira Geffen, deren Regiedebut JELLYFISH ebenfalls ist) ein wunderbar alltägliches Panorama, das einen Mikrokosmos des Lebens in Israel bildet.
Jeder von Kerets Personen glaubt man die Rolle, und das Leben das hinter dieser Rolle steht. Bis in die kleinsten Rollen hervorragend besetzt, nimmt JELLYFISH mit auf einen Ausflug in den Alltag. - Die Abwesenheit expliziter Handlung war schon lange nicht mehr so unterhaltsam.
In Deutschland ist der Film im Verleih bei Arsenalfilm und man darf wohl hoffen, dass Jellyfish nun endlich nicht mehr nur den Fuss in der Tür hat für israelische Filme, sondern die Tür endlich eintritt.
orcival
29. April 2008
(2 Shpiels)
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[OT: Um filme falado]
An einem nebligen Morgen brechen Rosa Maria und ihre Tochter Maria Joana auf, um den Vater des Kindes bei seinem Zwischenstop in Bombay zu besuchen. Und während der neblige Morgen in Rosa Maria den Mythos des portugiesischen Barbarossa-Pendants, Don Sebastiao, heraufbeschört, beginnen Gegenwart und Vergangenheit sich - wie in sovielen Filmen de Oliveras - zu durchdringen. Die beiden reisen zunächst auf den Spuren der Vergangenheit durch Europa und mehr und mehr werden Mutter und Tochter zum inkarnierten Faden der Handlung, der die Anlässe für zahlreiche Szenen miteinander verknüpft. Auf dem Weg nach Indien, auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Niemandsland des Ozeans kreuzt sich ihre Suche mit einer Tischgesellschaft bestehend aus Delfina (Catherine Deneuve), eine unabhängige moderne Geschäftsfrau, dem Ex-Model Francesca (Stefania Sandrelli) und der Griechin Helena (Irene Papas). Die Gesellschaft wird ergänzt durch den Kapitän des Schiffs (John Malkovich).
Im melancholischen Smalltalk der Tischrunde berühren sich die individuellen Geschichten der drei Frauen mit der Geschichte Europas, das in seinem kolonialen Erbe und seinem heutigen richtungslosen Taumeln vielleicht von niemandem so fundamental thematisiert wird wie de Oliveira (NON - OR THE VAIN GLORY OF LEADING,WORD AND UTOPIA) wie in den Filmen de Oliveiras. De Oliveiras Filme erinnern in ihrer Theaterhaftigkeit an Inszenierungen der 60er Jahre wie denen von Straub/Huillet und wirken zugleich als hätten Theo Angelopoulos kraftvolle wortkarge Figuren zu sprechen begonnen. A TALKING PICTURE gehört zu jenen seltenen Filmen, die man irritiert beginnt und die einen nach dem überraschenden Ende verzaubert-verstört zurücklassen.
orcival
29. April 2008
(2 Shpiels)
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Udi Alonis Film nimmt die Symbolik dieser Debatte, um in einer Collage aus Stadtaufnahmen, Medienfragmenten und Interviewpassagen die Reflektion eines nach Amerika emigrierten Israelis zu illustrieren.
Die Fragmente dieser Reflektion sind durchaus gut gewählt und breiten ein filmisches Mosaik der amerikanisch-israelisch-palästinensischen Beziehungen aus. Und die komplexe Beziehung zwischen Politiken und Religionen. Wie in Forgiveness überhöht Aloni diese gut getroffenen beiläufigen Betrachtungen jedoch ins Symbolische. Der Film kippt so in eine Westentaschenphilosophie.
orcival
29. April 2008
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Dennis ist Tischler für Kuckucksuhren. Das Besondere ist, dass er in einem der letzten Betriebe arbeitet, der nur Angestellte beschäftigt, die noch mit ihren natürlichen Händen arbeiten. Doch in letzter Zeit läßt Dennis nach und als ihm der jüngere Lee an die Seite gestellt wird, sieht er keinen anderen Ausweg mehr als zu Implantaten zu greifen. Doch das bleibt nicht lange unentdeckt.
Andreas Dahns 12minütige Reflektion über Arbeitsbedingungen unter den Bedingungen suggerierter High-Tech-Medizin hat alles was es für einen brauchbaren Kurzfilm bedarf: eine gute Idee, an der sich in einem Mikrokosmos verdichtet Zustände beschreiben lassen, eine gute Visualisierung mit verschwimmendem, schwarz-weißem 16mm Film und ein Gespür dafür, wann Dialog eher stört. Der einzige Grund, der mir zur Rationalisierung einfällt, warum der Film mich trotzdem unbeteiligt gelassen hat, ist der, dass der Film an einer Stelle, wo es gölte, sich für oder wider Kritik zu entscheiden, gar nicht entscheidet. Denn weder kritisiert der Film, dass Dennis dem Zwang zur Effizienz ausgesetzt ist, noch spielt er mit den Möglichkeiten die sich durch künstliche Körperteile eröffnen. Handarbeit bleibt eine Etüde, die den Sprung zum eigenständigen Film nicht recht schafft. Wirklich brilliant ist dafür die Idee, die Credits auf Holz zu präsentieren:
Handarbeit
D 2007 12 min
Regie: Andreas Dahn
Filmakademie Baden-Württemberg
orcival
22. Februar 2008
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Es gehört zu den netten Seiten des Booms von Dokumentarfilmen, dass seit einiger Zeit DokumentarfilmerInnen versuchen, den Alltag zu erfassen und in unterhaltsame Dokumentarfilme zu übersetzen. In HUKL - Szenen aus der norddeutschen Tiefebene ist es die Metapher des Dorfes als Bühne auf der jede(r) eine Rolle spielt, die die Struktur des Film vorgibt. Dazwischen reihen sich kleie Szenen eines dörflichen Alltags, die in ihrer Skurillittä gut beobachtet sind. Nur: was sagt es einem, dass ein Großvater mit seinem Enkel im Garten liegt und Schnecken beobachtet. Ist das lustig und wenn es lustig ist, ist es nett, das lustig zu finden?
Denn mit der Aufbreitung der Beobachtungen kommen die Fragen, wozu das alles gemacht wird und leider balanciert auch HUKL zwischen liebevollem Blick auf Skurillitäten und einer Montage skuriller Attraktionen zur Erheiterung des Kinopublikums. Beides hat seine Berechtigung und wahrscheinlich legt es der forschend-beobachtende Blick einfach zu nahe, ethische Fragen an die Haltung des Films zu stellen, die man sonst unterläßt, aber trotzdem: wenn man auf dem Schulfest junger Verwandter (üblicherweise Nichten, Neffen oder ähnliche Verwandtschaftsbeziehungen, deren Namen ich nicht kenne...) ist und eine Aufführung sieht, ist das nett. Filmt man das ganze, ist es nur dann nett, wenn man die Darsteller kennt, sonst ist es eine meist handwerklich eher bemühte als überzeugende Darstellung, bei der alle im günstigsten Falle viel Spaß haben. Lange Rede - kurzer Sinn: das ethische Dilemma, liebenswerte Bilder für fremde Augen aufzubereiten, ist in HUKL nur halb gelungen. Ein interessanter Film über das Dorfleben ist HUKL aber dennoch, wenn man als Zuschauer die Frage zumindest für sich selber klärt.
HUKL - Szenen aus der norddeutschen Tiefebene
D 2006, 28 min
Buch und Regie:
Jörg Haaßengier
Britta Ebermann
Produktion: KHM
orcival
22. Februar 2008
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Die Ausraster der Israelis auf Verdrängungsurlaub haben sich, dies ist in etwa die Quintessenz des Films, so sehr zum festen Bestandteil des Lebens nach dem Wehrdienst etabliert, dass verschiedene Betreuungsmöglichkeiten um die Betroffenen buhlen. Zum einen die Mitarbeiter des religiösen Chabadhauses, die - um es nur geringfügig zugespitzt zu formulieren - den Ausgeflippten mit einer Art religiöser Gehirnwäsche wieder Halt geben (wenn man das Funktionieren diesen Vorgehens auch durchaus zugestehen muss). Zum anderen die staatlich finanzierten Mitarbeiter des Wärme-Hauses.
Als dritte Partei lebt der Ex-Mossadmann Helik Magnus schliesslich davon, die Durchgeknallten wieder einzusammeln und in staatlichem Auftrag oder im Auftrag der Eltern, Schadensbegrenzung zu treiben. In seiner Themenwahl kann man Flipping Out wohl als Antwortfilm auf Eytan Fox' HaBuah (aka The Bubble) sehen: ohne die bei Fox wie immer etwas penetrant geratene pseudo-Politanalyse. In den Passagen, die die Art und Weise, wie die ExsoldatInnen über ihren Wehrdienst nachdenken und wie wenig dies zunächst der Fall ist und erst mit der Zeit bei einigen Zweifel aufkommen, ist ein eindrücklicher Punkt des Films.
Leider ist der Film trotz seiner vergleichsweise kurzen 83 Minuten gefühlt noch immer zu lang. Und bei der Darstellung der verschiedenen Schicksale verzettelt sich Shamir zunehmend. Trotz aller Kritik wäre es aber zu wünschen, dass es auch israelische Dokumentarfilme zunehmend auch jenseits der Filmfestivals in die Kinos schaffen - denn allgemein war die Zeit nie besser für die Kinoverwertung von Dokumentarfilmen.
orcival
21. Februar 2008
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Gao Wendongs Film leistet deutlich weniger Kontextualisierung als etwa Ren xiao yao (aka Unknown Pleasures) von Zhang Ke; auch die Blicke über den Häuserblock auf einen sich wandelnden Stadtteil schaffen nicht diesen Eindruck von Umbau (der in Unknown Pleasures im wahrsten Sinne des Wortes greifbar wird - nahezu jede Szene spielt auf oder vor einer Baustelle). Schlussendlich blieb mir unklar, wovon der Film erzählen möchte: tritt doch im Verlauf des Films die Schilderung der Situation zunehmend hinter der Liebesgeschichte der beiden zurück. Nach dieser Wende kam mir dann anders als Lukas die Würdigung von Bergman, Antonioni und Yang auch eher prätentiös vor - ein bisschen wie ein Pubertätsgedicht das Celan gewidmet wird.
orcival
21. Februar 2008
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God Man Dog konzentriert sich vor allem auf eine Schilderung des Alltags im heutigen Taiwan: im Mittelpunkt des Films stehen zwei Familien. Einerseits ein Designer und seine Frau, die als Handmodel arbeitet, die eher der wohlbetuchten Mittelschicht angehören, andererseits ein dem Alkohol zugeneigter Gelegenheitsarbeiter und dessen Frau, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen, indem sie die Gewinne von Bonusaktionen von Lebensmittelverpackungen verkaufen. Ergänzt werden die Protagonisten durch einen älteren Mann, der mit einem Lastwagen voller Buddhastatuen durch das Land fährt und auf eine neue Beinprothese spart und schliesslich den jungen Xian, der durchs Land reist, indem er sich im Gepäckraum von Bussen versteckt.
Singing Chens zweiter Langfilm nach ihrem Debut Wo jiao A-Ming la (aka Bundled) zeichnet ein ernüchterndes Bild Taiwans. Den von Problemen geplagten Familien und in ihnen vor allem den Frauen, die unter ihren Männern zu leiden haben, stellt der Film den Lastwagenfahrer mit den Buddhastatuen gegenüber, der die Reste einer ganz wörtlichen Entsorgung der buddhistischen Traditionen aufliest.
Die Geschichte, die der Film erzählt, ist durchaus ansprechend und der Film auch nicht schlecht gemacht, so recht Fahrt aufnehmen will der Fluss der Erzählungen und Bilder aber auch nicht und God Man Dog bleibt trotz einiger netter Szenen ein etwas plätschernd geratener Vertreter des im Forum schon obligatorischen Alltagsfilms aus taiwanesisch-chinesischen Gefilden.
orcival
21. Februar 2008
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Auf dem Heimweg von Leos Geburtstagsparty werden er und seine Freundin Amanda von zwei Fremden angepöbelt. Nachdem sie einem ersten Gerangel scheinbar entkommen sind, werden sie von den beiden verfolgt und bei der zweiten Begegnung löst sich schliesslich ein Schuß, der Amanda in den Bauch trifft. Kurze Zeit darauf stirbt Amanda im Krankenhaus an ihrer Verletzung.
Leo ist trotz der Unterstützung durch sein Umfeld vollkommen überfordert mit der Mischung von Verlust und Schamgefühlen und beginnt auf Rache zu sinnen. Immer fanatischer verrennt er sich in einen realitätsfernen Rachefeldzug, der vor allem seine beiden Freunde Josef und Shahab immer mehr vereinnahmt. In irrealer blinder Wut rennen die drei gegen die beiden erfahrenen Schläger an.
Das überzeugendste an Leo ist die Konsequenz mit der Fares die nicht gerade neue Geschichte des Einschlags eines unerwarteten Ereignisses in das Leben des Protagonisten erzählt. Aber wie gesagt, neu ist die Geschichte nicht. Das grösste Manko des Films andererseits ist (und damit sind wir wieder bei der Genreverortung) die fehlende Entscheidung, ob Leo bestimmt sein soll von den realistischen und zurückgenommen Bildern der Trauer oder den eher überdrehten Bildern des dilettantischen Rachefeldzugs. Das Drama der zunehmenden Abschottung Leos gegen seine Umwelt und die Frustration über die Ratschläge seines Therapeuten, der ihm nur immer wieder zur Geduld rät, sind für sich überzeugend. In sich überzeugen auch die sehr blutigen und in ihrer Erzählweise trotz des Inhalts an die Komödien Fares' erinnernden Szenen des dilettantischen Rachefeldzugs. Die Kombination der beiden Elemente jedoch gelingt nicht recht, und so bleibt Leo ein weiteres Zeugnis, dass der skandinavische Film sich auch in seinen schlechteren Exemplaren auf einem Niveau bewegt, von dem man im deutschen Film nur träumen kann. Denn sehbar ist Leo trotz aller Unentschiedenheit durchaus.
09.02. 21:30 Delphi Filmpalast (engl. UT)
10.02. 12:30 CineStar 8 (engl. UT)
11.02. 22:45 Cubix 9 (engl. UT)
12.02. 20:00 Colosseum 1 (engl. UT)
orcival
8. Februar 2008
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Anders schaut es mit der Hommage aus, die sich einem der ganz grossen des europäischen Kinos widmet - Francesco Rosi. Dass der Name vielen trotzdem nichts sagt und allerhöchstens die Sciascia-Verfilmung Cadaveri eccelenti (aka Die Macht und ihr Preis) einen gewissen Wiedererkennungseffekt zeitigt, erstaunt irgendwie, wenn man bedenkt, dass Rosi so was wie der italienische Ken Loach ist. Und filmisch bisweilen eher ambitionierter.
Rosi hat begonnen als Regieassi bei Visconti. Die 60er Jahre und das verbreitete Interesse für Sozialrebellen (das bekannteste Beispiel ist das Buch von Hobsbawm) bildeten den idealen Boden, auf den ein Film wie Salvatore Giuliano fallen konnte. (Nebenbei sei gesagt, dass sich in dieser Richtung noch einige Filme der Wiederentdeckung harren, wie etwa Carlo Lizzanis Banditi a Milano von 1968).
Rosis süditalienische Herkunft zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk - ob in den Mafiafilmen, die nie nur Mafiafilme sind, sondern immer auch Filme über das vom dauernden Ausnahmezustand geprägtes System Italiens der 60er/70er Jahre, den Literaturadaptionen wie Cristo si è fermato a Eboli (aka Christus kam nur bis Eboli; nach Carlo Levi) oder La tregua (aka Die Atempause; nach Primo Levi) und schliesslich der späten Dokumentation Diario napoletano (Neapolitanisches Tagebuch).
Mit Rosi kann man die Position eines im Umfeld des PCI angesiedelten Filmemachers sehen, der eines der filmischen Ballungszentren links-intellektueller Filmkultur der 70er Jahre wurde. Und wie Leonardo Sciascia dürfte man in Rosi wohl auch einen Exponenten der kulturellen Auswirkungen entdecken, die die ihrerseits vom Operaismus inspirierte Microstoria entwickelte. Die räumlich-zeitlich begrenzte Recherche war danach selten so politisch aufgeladen.
Sehr lesenswert zu Rosis Filmographie ist noch immer Georg Seeßlens kluger Text über Rosi von '87 klick und anlässlich der Hommage reflektiert Ekkehard Knörer über Nähe und Abgrenzungen von Rosis Cine-inchiesta zum Detektivkino klick.
orcival
8. Februar 2008
(0 Shpiel)
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