Im letzten Jahr zeigte vor allem Bahman Ghobadis "Lakposhtha hâm parvaz mikonand" ("Turtles can fly"), dass in dieser Sektion, die oft als Randprogramm vernachlässigt wird, relevantes Kino passiert.
Vor dem Hintergrund des innerisraelischen Konfliktes zwischen russischen Neueinwanderern und Israelis erzählt Eitan Anner, der in letzter Zeit vor allem für das israelische Fernsehen gearbeitet hat, die Geschichte eines Jungen, Chen, der zu tanzen beginnt.
Chen, Sohn einer arbeitslosen russischen Kellnerin und eines in Israel geborenen Fotografen, der seinen Lebensunterhalt vor allem mit Hochzeitsfotos verdient, die er mit zynischen Kommentaren begleitet, will zunächst nur deswegen tanzen, weil er sich in die schöne, wenngleich etwas arrogante, Natalie verguckt hat.
Mit der Zeit kommt Chen jedoch auf den Geschmack, gerät jedoch auch immer tiefer in ein grosses Kuddelmuddel hinein: seine Eltern liegen in einem stetig eskalierenden Dauerclinch, sein Vater hält überhaupt nichts davon, dass sein Sohn tanzt, seine Tanzlehrerin, die muss sich zwischen ihrer Existenz als Tanzlehrerin im Provinznest Ashdod und dem Versuch eines Comebacks als professionelle Tänzerin entscheiden und schliesslich stellt sich auch Natalie als anders heraus als das, wozu Chen sie bisher verklärt hat.
Zu allem Überfluss muss sich Chen auch noch entscheiden, ob er weiter Natalie nachjagen soll, oder sich lieber mit Sharon (der Name hat was...) zum anstehenden Wettbewerb melden soll.
An "Sipur Chatzi Russi" besticht, dass er den gesellschaftlichen Konflikt zwischen Neueinwanderern und Etablierten auch auf gesellschaftlicher Ebene belässt und ihn nicht zer-individualisiert. Andererseits gelingt es Eitan Anner dem Film trotz der komplexen Erzählung durch sein gutes Gespür für skurille Szenen und Verhaltensweisen eine grosse Leichtigkeit zu erhalten.
Berlinale-Umschrift: "Sipur Hatzi Russi"
orcival
14. Februar 2007
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Fay, ist alleinerziehende Mutter, Schwester des Avantgarde-Schriftstellers Simon Grim und (Noch-)Ehefrau des undurchschaubaren Henry Fool (!). In Fays eigenene Worten klingt das so: "I'm single, sort of..."
Eines Tages taucht dann CIA-Special Agent Fullbright bei ihr auf und bringt sie mit mehreren Halbwahrheiten dazu, im Auftrag der CIA nach Paris zu fahren, um dort einige Bücher mit Aufzeichnungen von Henry in Empfang zu nehmen.
In Paris stellt sich heraus, dass die Bücher, die alle bisher als eine Art literarischen Amoklauf gelesen hatten, in den Augen diverser Geheimdienste eine verschlüsselte Auflistung so ziemlich aller jeweils interessanten Geheimnisse darstellen.
Spätestens nun ist Fay aus dem Kuddelmuddel ihres Alltagslebens in das Wirrwarr geheimdienstlicher Beziehungen hinübergeschliddert.
Hartley überspitzt im Grunde genommen lediglich jene Elemente, die jeden zweiten kolportagehaften Spionagefilm ausmachen. Ein Text, der nur wirr aussieht, aber angeblich verschlüsselt wurde; weil er für ein verschlüsseltes Geheimdossier gehalten wird, werden zur Verwirrung unzählige Fälschungen, Übersetzungen von Fälschungen und Rückübersetzungen von gefälschten Übersetzungen echter Teile der Dossiers angefertigt bis niemand mehr weiss, ob der Text ein Geheimdossier ist oder nicht und welche Version das Original darstellt.
Weil die Arbeit von Geheimdiensten aber nun mal darin besteht zu handeln, wursteln alle vor sich hin, lassen Geheimpläne anlaufen und keiner versteht mehr, worum es geht und wer wer ist.
Soweit ist "Fay Grim" eine gelungene Spionagefilmparodie, die wie viele Parodien gegen Schluss, wenn die Handlungsfäden zusammengeführt und zu einem Ende verknotet werden müssen, beinahe doch noch in einen handfesten ernsthaften Vertreter des Genres umschlägt.
Auf der anderen Seite zieht Hartley über die gesamte Länge des Films eine Art zweiten Boden ein, der darin besteht, dass alle Akteure nur noch in zynischer Weise in der Lage sind, die Gründe ihres Tuns zu rechtfertigen. Dass sie Utilitaristen im Gewande von Idealisten sind.
An einigen dieser Stellen wird unklar, ob Hartley mit "Fay Grim" nicht mindestens genauso eine politische Standortbestimmung vornimmt, wie er eine gelungene Parodie dreht; und es sind eben diese Stellen, deren offensichtliche Politisiertheit gerade eine Analyse des Spionagefilm und seiner politischen Implikationen darstellt, die Parodie also zur Analyse wird.
orcival
14. Februar 2007
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"Jagdhunde" ist der Debütfilm und gleichzeitig Abschlussfilm der HFF Regiestudentin Ann-Kristin Reyels. Grob umreissen lässt sich "Jagdhunde" mit der Aussage, Josef Hader nach Brandenburg verpflanzt zu haben.
Dass dieser Ansatz mehr bedeutet als einen komödienerprobten Schauspieler (eben Hader) in ein ungewohntes Umfeld (Brandenburg) zu versetzen wird schon in den ersten Szenen klar.
Lars und sein Vater Henrik leben seit der Trennung des Vaters von Lars Mutter nicht mehr in Berlin sondern in der Uckermark. Folgerichtig werden sie denn auch von den Dorfbewohnern gemieden und keiner spricht ein Wort mit ihnen. Das allerdings hält die beiden nicht davon ab, angesichts bevorstehender Weihnachten alle einzuladen, mit ihnen zu feiern.
Lars verliebt sich in die taubstumme Tochter des örtlichen Kneipenbesitzers, Marie, was in einer wunderbar skurillen Szene mit Seniorentischtennis kulminiert, die als Variation von Kennenlern- und Annäherungsszenen von Reyels Gespür für den Humor von Situationen zeugt.
Eigentlich sollte Lars zu Weihnachten nach Berlin zu seiner Mutter fahren, was Henrik gleichzeitig fest eingeplant hatte als Zeit für ein Stelldichein mit Lars Tante, aber Marie ist für Lars Grund genug, diese Abreise solange hinauszuschieben bis seine Mutter schliesslich mit ihrer neuen Flamme vor der Tür steht und so den schiefen Haussegen zu Weihnachten garantiert.
Reyels Film stellt mit ihren ästhetischen bis selbstverliebten Bildern und ihren skurill-absurden Situationen eine Art Kreuzung zwischen österreichischen Komödien mit Simon Schwartz oder eben Josef Hader á la "Crash Test Dummies" oder gar dem Klassiker "Indien" auf der einen Seite und Elementen dessen was derzeit als "Berliner Schule" die Feuilletons durchkreucht.
Nun ist es schwer das Wort von der "Berliner Schule" im Munde zu führen ohne zumindest zu umreissen, was mein Verständnis derselben ist; grob liesse sich diese also umreissen mit einer Spannweite von eher nüchternen Alltagsstudien wie Henner Wincklers "Lucy" oder "Klassenfahrt" vom selben Regiesseur und einer zu pathetisch-belangloser Problemwaterei neigenden Richtung für dich ich solch Filme wie Andreas Dresens (buuuuuhhhh!!!!) "Wittenbrock" oder Ulrich Köhlers "Montags kommen die Fenster" anführen würde.
Trotz dieses Versuches einer - wenngleich groben Definition - denke ich, dass das Phänomen "Berliner Schule" eigentlich ausreichend umrissen ist, mit dem Hinweis das alle Filme die Tendenz zu einem sich realistisch gebenden Naturalismus ist, der im eigentlichen Sinne nicht sehr viel mehr ist, als Fernsehfilmerei.
Die Tatsache, dass ein Gros der Filme der "Berliner Schule" unter der Fittiche des Kleinen Fernsehspiels der ZDF entstanden, scheint mir ein weiterer Hinweis darauf zu sein, dass es sich im Grunde um ein Revival des Fernsehspiels handelt.
Womit wir wieder zu "Jagdhunde" zurückzukehren können: Reyels Film leidet ein wenig unter dem Problem, dass der Film, sobald das Familienthema in den Vordergrund rückt, auf schmalem Grat zu einer Art "Jenseits der Stille revistited" balanciert und zudem das Ende dermassen unbefriedigend vergurkt ist, dass obgleich der Film vielversprechend begann, er einen doch mit dem Eindruck das Kino verlassen lässt, man hätte sich für diesen Film durchaus bis zur (dank ZDF Beteiligung gesicherten) TV-Verwertung gedulden können.
orcival
12. Februar 2007
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Während der Ton das Thema Frauenhandel behandelt, werden die ErzählerInnen in ihrem Alltag gefilmt, was dem Film vielschichtiger werden lässt, als sich beinahe zwangsläufig die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Ton einstellt.
Der Zwiespalt zwischen Dokumentariät und Fiktion wird durch den unnatürlichen Eindruck unterstützt, den die nachträgliche Synchronisierung des Films erzeugt. Diese Künstlichkeit in Verbindung mit der sich sachlich nüchtern gebenden Bildsprache (Kamera: Jo Molitoris) erzeugen aller Dokumatarität zum Trotz eine Art von Suspense und unbehagen, der eine viel stärkere Argumentation zulässt als es der Voyeurismus üblicher Fernsehbilder zum Thema zulässt.
Salomonowitz' Zusammenarbeit mit der österreichischen NGO LEFÖ bei der Erarbeitung des Themas, die Art wie sie aus den Einzelgeschichten beispielhafte Erzählungen kondensiert hat und diese unsentimental, aber mit grossem Gespür für den Einsatz ihrer Mittel umsetzt, all dies macht "Kurz davor ist es passiert" zu einem der positiv auffallenden Exemplare des bislang eher zweispältigen diesjährigen Forums.
Auf formaler Ebene ist "Kurz davor ist es passiert" Teil eines der vielversprechendsten Trends im deutschsprachigen Kino, den man als "Narrative Dokumentation" bezeichnen könnte. Womit Salomonowitz' Film in einer Reihe mit Alexandra Sells "Durchfahrtsland", der letztes Jahr einer der Höhepunkte des Berlinale Forums war, und Judith Keils und Antje Kruskas Filmen "Der Glanz von Berlin" und neuerdings "Dancing with myself" zu sehen wäre.
Das Publikumsgespräch nach der Vorführung im Arsenal dürfte definitiv zu den Hochpunkten dieses Jahres gehören, da es endlich einmal durchweg gelang, den Film nicht durch willkürlich an den Film herangetragene Absurditäten des Moderators zu zerschwafeln.
orcival
12. Februar 2007
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Ein solcher Fall ist definitiv die Wiederauführung des Klassikers von Charles Burnett Killer of Sheep. Nachdem der Film vor 30 Jahren, 1977, schon einmal auf der Berlinale lief und damals auch einen Preis bekam, läuft er also wieder und fast ist es eine kleine Feier, dass er nun endlich einen Verleih hat. Nach der Restaurierung durch das UCLA TV and Film Archive ist es nämlich gelungen, das Hindernis der ungeklärten Musikrechte endlich auszuräumen und so wird es noch in diesem Jahr eine DVD- und Kinoveröffentlichung dieses Films geben.
Burnetts Film schildert in bewusstem Kontrast zu Hollywoods Blaxploitationfilmen das Leben in LA in den späten Siebziger Jahren zum Zeitpunkt der grössten Riots in den USA. Und er schildert ein Leben abseits von Gangs und Drogen, setzt vielmehr auf die alltägliche Abstumpfung und das Zugrundegehen an sich selbst. Der Anspruch "Realität" zu schildern, wird formal unterstrichen durch die direct cinema-artige Kamera, die Burnett selbst besorgte, und das Arbeiten auf 16mm.
Der Film wurde, da er mit Laiendarstellern gedreht wurde, über lange Zeit an Wochenenden gedreht ohne bisweilen zu wissen, welcher Schauspieler wann zum Dreh auftaucht.
Stan, der Protagonist, arbeitet in einem Schlachthof und tötet Schafe. Seine Schlafstörungen bringen allmählich seine Familie aus dem fragilen Gleichgewicht und so recht will nichts klappen, was er sich vornimmt.
Um die Schilderung von Stans Scheitern herum zeichnet Burnett das Leben. Das von Stans Sohn, dessen abgegucktes Machotum spätestens einen Dämpfer erhält als er sich durch eine Gruppe von Mädchen pöbeln will und herb abblitzt und eine kleine Abreibung bekommt.
Stan selber scheitert unter anderem mit seinem wohl nicht zu letzt aus Distinktionsbedürfnis gegenüber den "Armen" geborenen Traum vom eigenen Auto. Die beiden Szenen, die diesen Kampf um die Distinktion fassen, sind zum einen das Schicksal eines Motors, den sich Stan beschafft hat.
Nachdem er diesen mit Hilfe eines Freundes nach zähem Feilschen und grossen Mühne die Treppe hinabgeschafft hat, verstauen die beiden den Motor unzureichend auf der Pritsche ihres Autos und prompt fällt der eben erst teuer beschaffte Motor.
Die andere Szene zu diesem Thema ist der Versuch eines Trips aus der Stadt hinaus, der an einem platten Reifen scheitert.
Was in diesen Schilderungen des alltäglichen Lebens am meisten auffällt, ist Burnetts Umgehung jener festgeschriebenen Genderrollen wie sie in den Blaxploitationfilmen zunächst angelegt zu sein scheinen. Gerade in der Schilderung des Umgangs der Frauen mit "ihren" Männern ist Burnetts Film so nahe am feministischen Film, wie dies ein Film eines männliches Regisseurs in den 70ern sein konnte.
Wie weit der Film - und dies macht ihn zusätzlich interessant aus heutiger Sicht - übrigens von einem essentialistischen Genderverständnis entfernt ist, zeigt sich in dem Unterschied zwischen dem Umgang zwischen Stans Frau und Stan und dem seiner Macho-freunde mit deren jeweiligen Frauen.
Während diese eben gerade von Zeit zu Zeit den Kopf gewaschen bekommen und ihr posendes Auftreten ausgetrieben bekommen, besteht in Stans Falle, der Umgang eher darin, dass beide ihr jeweiliges und ihr gemeinsames Leben wieder in angenehmere Bahnen zu lenken versuchen.
Der Einsatz der Musik, der den Film so lange Jahre um eine gebührende Veröffentlichung brachte, fügt sich hervorragend in die Ästhetik des Films, indem sie einerseits den fiktionalen Charakter der dokumentarisch gefärbten Bilder betont, aber zugleich auf der anderen Seite aus heutiger Sicht die Breite dessen umreisst, was schwarz sein in den 70er Jahren heissen konnte.
Wer mehr will, hier gibt es aus der Fülle von Besprechungen eine recht lesenswerte vom Herrn Knörer
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orcival
10. Februar 2007
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Louis Feuillades Serial Les Vampires von 1915 war Gaumonts Antwort auf die erfolgreiche Serie des Konkurrenten Pathé The Mysteries of New York (auch bekannt unter The Exploits of Elaine).
Feuillade hatte zuvor bereits mit einer Reihe von Fantomas Filmen bewiesen, dass er im Genre der populären Massenunterhaltung zu beachtlichem im Stande war. Les Vampires nun waren Feuillades erstes Serial aus eigener Feder.
Die Reihe Les Vampires handelt von den Abenteuern des unerschrockenen Journalisten Guérande, der eine Bande von Verbrechern unter der Führung der Oberverbrecherin Irma Vep (ein Anagramm von Vampire), die die Pariser High Society terrorisiert, unbeirrbar verfolgt. Guérande stets zur Seite steht sein treuer Gefährte Mazamette, selbst ein ehemaliger Vampir.
Zu den beeindruckensten Aufnahmen aus Les Vampires gehören noch heute die Szenen über den Dächern von Paris. Feuillade gelingen in LES VAMPIRES (wie der Oxford Companion to Film so schön formuliert) vor allem "durch seine visuelle Poesie und eine fröhliche Mißachtung jeglicher Logik und Konsequenz", immer wieder Episoden voller detailversessenem Aberwitz.
Es dürften nicht zuletzt diese Elemente gewesen sein, die die Attraktion Feuillades für die Surrealisten ausmachten. Hinzukam die Art wie Feuillades Vampire ihre Verbrechen begehen und sich dabei einen niedrigschwelligen Krieg mit der Gesellschaft liefern.
Der Topos des Verbrechers, der ausserhalb der Gesellschaft stehend, die Gesellschaft in Frage stellt und kritisiert, hält sich in popularisierten Kritikformen. Etwa in der Romantisierung der Figur des Mörders durch Sartre und de Beauvoir wieder.
Daher dürfte es zugleich gelten, in Les Vampires ähnlich wie in Eugène Sues Les Mystères de Paris, die von 1842-43 in Le Journal des Débats erschienen, die Folie für eine popularisierte soziale Kritik zu erkennen. Für Sue hat dies recht früh übrigens Antonio Gramsci in noch heute aufschlussreicher Form in zahlreichen Einträgen in seine Gefängnishefte getan.
Auch wenn Les Vampires heute etwas repetitiv wirken mögen, so ist doch ein Blick auf diese Urahnin aller Krimiserien auch heute noch ebenso unterhaltsam wie filmhistorisch interessant. Das kolportagehafte und die Faszination der Geheimgesellschaft wie sie in Les Vampires anklingen findet sich in ganz ähnlicher Weise auch in Fritz Langs Die Spinnen von 1919/20.
Feuillades spätere Arbeiten wie die Reihe um jene Mischung aus Zorro und The Shadow namens Judex erreichten das Niveau und die Qualität von Les Vampires nicht mehr.
Für eine detaillierte Untersuchung der Attraktiviät Feuillades für die Surrealisten siehe auch Robin Walz Essay: Serial killings: 'Fantomas', Feuillade, and the mass-culture genealogy of surrealism (Anmeldung erforderlich)
Für eine Untersuchung zu Musidoras Rolle siehe:
Annette Förster: Schwärmerei für einen Schatten. Musidora und das Nachleben von Irma Vep (S. 51-76), in: Monntage AV 8. Jg. [2002], H. 2
und offline:
Elizabeth Ezras Essay The Case of the phantom fetish: Louis Feuillade's Les Vampires in: Screen 47 [Summer 2006], 2, Seite 201-211, der vor allem für die Verbindung zwischen Les Vampires und dem Ersten Weltkrieg interessante Analysen bietet.
orcival
6. Februar 2007
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Dabei meint irrelevant unabhängig von aller handwerklichen Fähigkeit jene Art Filme zu machen, die mit dem geographisch unverortbaren Schlagwort "neue Berliner Schule" verbunden ist; steht diese Kategorie doch dafür, meist unter der Fittiche des Kleinen Fernsehspiels des ZDFs von jedweder Kritik gereinigte Nabelschauthemen der Mittelschicht zu thematisieren. Prototypisch dafür etwa Henner Wincklers Filme "Klassenfahrt" und "Lucy". Dass der selbe Autor auch anders kann sieht man etwa wenn man feststellt, dass Henner Winckler auch an Yüksel Yavuz "Kleine Freiheit" mitgeschrieben hat.
Doch zurück zu Vier Minuten: wie weithin besprochen behandelt der Film die Beziehung zwischen der Pianistin und Gefängnisklavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) und der Inhaftierten Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung).
Jenny von Loeben ist eines jener Wunderkinder, von denen Andre-Rieu-begeisterte-Klassikfreunde träumen. Unterdessen sitzt sie im Gefängnis, weil ihr Vater (Vadim Glowna) sie zu missbrauchen begann, als sie kein Wunderkind mehr sein wollte.
Traude Krüger wurde von den Nazis, für die sie arbeitete, dazu gebracht, ihre Geliebte zu verraten. Dies ist einer der Gründe für sie gewesen den Ort dieses Geschehens nie zu verlassen. Und so bringt sie nun Gefängnisinsassen bzw -personal das Klavierspielen bei.
Die rassistischen ("Negermusik") und verquast bildungsbürgerlich-muffigen (wie das Zitatespiel mit dem Wärter Mütze) Extravaganzen und Ausraster der Frau Krüger wirken immer ein wenig wie die Illustration jenes Satzes von Walter Benjamin aus seinen beiden grossen geschichtstheoretischen Arbeiten, es sei niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.
Am Ende schmuggelt Frau Krüger Jenny aus dem Knast, um ihr die Teilnahme an einem Klavierwettbewerb zu ermöglichen. Zur Anmeldung muss Jennys Vater ihre Identität bestätigen. Wie in dieser Szene das ineinanderverwobene Personengeflecht gegen alle Sympathien miteinander interagieren muss, dies allein ist eine Meisterleistung des Drehbuchs.
Und so sind von allen Minuten des Film nur jene vier des Wettbewerbsvorspiels affektiert. Jene bildungsbürgerliche Grinseveranstaltung zur Bühne für das Dekonstruieren des Klavierklassikers Schumanns zu machen, wirkt ein wenig zu viel, aber dies ist man gerne bereit zu verzeihen nachdem man 106 Minuten begeistert verfolgt hat wie es Chris Kraus gelingt, seine Geschichte zu erzählen.
Um auf die Kritik der "neuen Berliner Schule" vom Anfang zurückzukommen: seit einiger Zeit kristalliert sich etwas heraus, was dieser entgegenläuft. Und so möchte ich in dieser Besprechung die These aufstellen, dass eine Reihe von Filmen zu denen Vier Minuten unbedingt gehört der Tabatabai-Schule angehören.
Um dazu zu gehören ist es, bei aller Bewunderung für Jasmin Tabatabai nicht nötig, dass diese mitspielt, gemeint ist viel eher eine Reihe von Filmen (Kleine Freiheit, Fremde Haut und mit Einschränkungen Requiem), die die Gesellschaft vom Rande her erzählen. Und eben dies ist im Spielfilmbereich durchaus als politisches Statement zu werten.
Dass andererseits gerade Jasmin Tabatabai für diese Art Filme steht, zeigt wie sehr bestimmte Bilder von "den anderen" (warum sonst heisst Tabatabais Rolle in Vier Minuten "Ayse"?) noch immer im Spielfilm vorherrschen. Und so dürfte es kein Zufall sein, dass alle diese Filme progressiv eher im Hinblick auf ihren Umgang mit sexueller Identität sind, als (mit Ausnahme von Kleine Freiheit) in Hinblick auf ihre Darstellung von MigrantInnen.
Homepage von Vier Minuten
orcival
4. Februar 2007
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Clairs Film bedient sich eines wohl schon damals klassischen Plots: zwei Sträflinge entweichen nacheinander aus dem Gefängnis. Durch einen klassischen Drehbuchzufall verschlägt es Sträfling #2 (Émile gespielt von Henri Marchand) in just jene Grammophonfabrik, die Sträfling #1 (Louis gespielt von Raymond Cordy), der seit seiner Flucht zu Geld gekommen ist, kurz zuvor gegründet hat. Émile verliebt sich, erkennt im Besitzer der Fabrik seinen ehemaligen Zellengenossen Louis wieder und für eine Zeit geht alles gut, schlussendlich jedoch werden die beiden von des Gesetzes Griffeln heimgesucht.
Das "klassische" Ende wäre nun, dass die beiden am Ende missmutig in ihrer Zelle sitzen und alles so ist, als sei der Film nie geschehen; jedoch und dies ist auf der Handlungsebene der Wert des Films, Clair tut anderes: die beiden Entflohenen können sich nämlich den Griffeln entziehen und obendrein schenkt Louis seine unterdessen vollmaschinierte Fabrik den ArbeiterInnen. Und so besteht das Ende darin, dass die Belegschaft Angeln geht, während zwei Arbeiter beim Kartenspiel die Produktion überwachen.
Nun weiss man rückblickend durchaus, dass die Automatisierung nicht den gewünschten Effekt hatte, aber Clair hat, anders als die meisten Filme zum Thema Arbeit, etwa auch Chaplins ein Jahr später gedrehter "Modern Times" auf den noch zurückzukommen sein wird, sich nicht darauf beschränkt, die Probleme und Ungerechtigkeiten von Lohnarbeit zu zeigen, Clair hat vielmehr eine Art Utopie der Arbeit entwickelt.
Man ahnt dies zunächst nicht, wenn man die durchaus slapstickhaften Verfolgungsjagden betrachtet. Jedoch ist es gerade deren stummfilmhaftes wahnwitziges Tempo, das viel von der Lebendigkeit des Films ausmacht.
Was die oben angeschnittene Ebene der Behandlung des Tons angeht, so sind es ebenfalls diese Szenen, an denen Clair grosses Geschick darin beweist, durch das Ersetzen von illustrierendem Ton durch Musik eine standardisierte Atmosphäre zu erzeugen und so die Irrelevanz bestimmter Details zu betonen, durch die der Punkt den Clair schlussendlich macht, um so klarer wird.
"A nous la liberte" markierte die Trennung Clairs von Tobis, was Tobis andererseits nicht davon abhielt zu erwägen, Chaplin wegen dessen "Modern Times" zu verklagen. Clair lehnte dies ab und sah in Chaplins Film viel eher eine Hommage an oder Reaktion auf seinen Film.
orcival
26. Januar 2007
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Was bleibt sechs Folgen später von meiner anfänglichen Euphorie wie ich sie hier (link) geäussert hatte?
Nun, nach wie vor setzt sich ReGenesis durch die eher unprätentiöse Art wie mit dem Wissenschaftselement umgegangen wird eher positiv von etwa CSI ab.
Als klarer Negativpunkt muss aber wohl gelten, wie inflationär die Serie spätestens alle zwei Folgen Charaktere einführt, mit denen die ProtagonistInnen, vor allem aber David Sandström, jeweils lange zurückreichende Beziehungen haben.
Mindestens fraglich erscheint mir auch, dass die Ermittlungen in den einzelnen Fällen jeweils damit enden, dass der Erreger identifiziert wurde und eventuelle Gegenmassnahmen eingeleitet wurden.
Die unweigerlich folgenden Papierschlachten und langwierigen Prozeduren werden höchstens von Zeit zu Zeit angerissen. Angerissen wird überhaupt vieles, zum Beispiel ist es doch eher irritierend wie Sandström Senior in der sechsten Folge "Die Spur der Gene" eher en passant mal eben die Spanische Grippe aus dem Permafrost holt wie andere Leute Pizza aus der Kühltruhe.
Was die Darstellung von Bürokratieschlachten angeht, so hat die NDR-Serie "Schwarz-rot-gold" mustergültig vorgeführt, dass staubiger Behördenalltag keiner Superermittler bedarf, um serientauglich zu sein.
Warum guck ich also trotzdem ReGenesis? Mmh, gute Frage, vielleicht weil die Serie allein dafür sehenswert ist, wie Peter Outerbridge das egomane Chef-Arschloch gibt. Oder was jetzt aus dem Subplot mit Carlos' Freund wird... Das sind doch wohl ernst zu nehmende Gründe vorerst ReGenesis-Junkie zu bleiben, oder...
orcival
23. Januar 2007
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Der Spion mit der Lizenz zum Prügeln
Der nicht vorhandene Plot dreht sich um die Anpreisung einer Laserpistole, die zur Unterstreichung der Gefahr mit Bauabsperrband beklebt wurde. Die Pistole ist natürlich in den Händen von ganz ganz bösen Menschen. Originellerweise werden diese als stets gut aussehende Frau (Eve gespielt von Lesley-Anne Down) und Frankenstein-Verschnitt (Wrecks gespielt von Richard Moll) dargestellt. Wobei die Family-values auch hier insofern gerettet werden als die ganz ganz böse Eve in jedweder Situation noch Zeit findet ihren Wrecks anzuhalten sich für sein Scheitern höflich zu entschuldigen.
Weil Waffen in den Händen von Hulky-Baby (aka Ray Chase) besser aufgehoben sind muss der die Waffe natürlich klauen (was nach 5 Minuten geschieht) und vernichten (was nach 80 Minuten geschieht). Was in den 75 Minuten dazwischen geschieht, ist eine Mischung aus Superman/Agenten-Film, in die zum Leidwesen der Zuschauer auch noch Chases Sohn Jeremy und seine Bagage eingebaut werden, um dem Absatzmarkt für den Verkauf der Spielzeugwaffe Identifikation zu ermöglichen. Und daher ist "Der Spion mit der Lizenz zum Prügeln" dann eben ein Hybrid aus Agentenfilm, TKKG, Fünf Freunde, Bud Spencer und Family-Values-Propaganda...
Insgesamt wäre das ob seiner vollständigen filmischen Irrelevanz natürlich ignorierbar, wären da nicht die nervige Lovestory des Sohnes mit einem ständig Rosa-tragenden und entsprechend auch Rosalie (kein Witz) heissenden Mädchen. Sowie die üblen Klischees in Bezug auf Shigeo, den Enkel des Spielzeugladenbesitzers Mr. Yamata.
Sehr erstaunt war ich übrigens als ich feststellte, dass der Film von 1996 ist, der Seheindruck sprach für Mitte der 80er Jahre. Was den Film zumindest für die Erkenntnis, das schlechte Filme einen ganz eigenen Zeitstil haben, beinahe wieder aufschlussreich macht. Aber halt nur bei 32fachem Durchspulen.
orcival
17. Januar 2007
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